Rezensionen zum Buch "Dr. Lahmanns Sanatorium im Kurort Bad Weißer Hirsch (1888 - heute)"
von Michael Schmidt

DRESDENER NEUESTE NACHRICHTEN,
AUSGABE
Montag, den 14. Dezember 2015


Fleisch gab's nur am Sonntag

Der Radebeuler Verleger Michael Schmidt erweiterte seine Broschüre über Dr. Lahmanns Sanatorium auf dem Weißen Hirsch

Von Christian Ruf
Gemüt, Gewicht und Gewissen gleichermaßen zu erleichtern, versprechen Vegetarier und Veganer. Und die sich immer wieder gern in Selbstzerfleischung übende Autorin Karen Duve behauptet in ihrem Traktat "Anständig essen" gar: "Eine ethisch konsequente Haltung beginnt erst beim Veganismus". Das messianische Sendungs bewusstsein der fleischlos leben wollenden Zeitgenossen ist dermaßen ausgeprägt, dass sie sogar ausgesprochen ungemütlich werden können, wenn sie realisieren, dass man ihnen auf ihrem Weg ins Glück nicht zu folgen gedenkt. Bereits die vergleichsweise biederen Vegetarier des 19. Jahrhunderts konnten überhaupt nicht begreifen, dass insbesondere die Arbeiter not amused waren, dass man ihnen Fleisch, Alkohol, Tabak und Sex madig machte und ihr Leben mittels reiner Pflanzenkost zu verschönern gedachte. Messerscharf wurde schon damals geschlossen, "daß die Bekehrung zum Vegetarismus von oben herab und nicht von unten herauf erfolgen müsse", wie sich ein gewisser H. Milbrodt in der Zeitschrift "Der Vegetarier" äußerte.

Bis zum Ersten Weltkrieg wurden ständig neue Kurgebäude errichtet

Nicht ganz so weit ging Heinrich Lahmann, der 1991 ein Buch mit dem Titel "Die diätetische Blutentmischung als Grundursache aller Krankheiten" veröffentlichte, in dem er die Theorie vertrat, dass alle Krankheiten durch falsche Ernährung verursacht wären. Lahmann, der 1887 im damaligen Vorort Weißer Hirsch ein eigenes "Physiatrisches Sanatorium" eröffnet hatte, empfahl eine überwiegend vegetarische Ernährung, gestand seinen Patienten lediglich am Sonntag Fleisch und Genussmittel zu. Sein Kurkonzept verfolgte neben einer weitgehend fleischlosen Ernährung auch Wasseranwendungen, Luftbäder und Bewegung in der freien Natur. Er richtete sogar ein Labor ein, um Untersuchungen zum menschlichen Stoffwechsel durchzuführen und seine Theorien zu bestätigen.

Sein Laden brummte, jedenfalls machten Teile der Mittel- und Oberschicht, ja sogar manche Schauspieler, Sänger und Schriftsteller begeistert mit, während die Arbeiter eher weniger bereit waren, zugunsten des vegetarischen Seelenheils auf Braten und Wurst zu verzichten. Wie auch immer: Zwischen 1888 und 1913 wuchs die Zahl der Gäste jedenfalls von 385 auf über 7400 an, und beileibe nicht alle hielten es mit der Devise: "Oft ist der Kurschatten der einzige Lichtblick des Heilverfahrens." Bis zum Ersten Weltkrieg wurden deshalb neue Kurgebäude errichtet, Wasserleitungen und Dampfheizungsanlagen eingebaut und verschiedene Bade- und Gemeinschaftshäuser eingerichtet.

Über Lahmarms Sanatorium legte der Radebeuler Autor und Verleger Michael Schmidt vor geraumer Zeit eine kleine Broschüre vor, die sich dermaßen gut verkaufte (die Auflage betrug 1600 Stück), dass er nun nachlegte. Die neue Jubiläumsausgabe aus Anlass des zwölfjährigen Bestehens des Sonnenblumen - Verlages Dresden" weist doppelten Umfang auf, entsprechend mehr Abbildungen und Grafiken, zudem auch noch aktuelle Fotos, die Zeugnis vom Wiederaufbau eines Teils der einstigen Kureinrichtung ablegen.

Einleitend gibt es eine Reihe von Informationen zu Leben und Werk Lahmanns, aber auch der Geschichte des Sanatoriumskomplexes, der im Zuge der Nutzung durch die Rote Armee nach 1945 regelrecht verschlissen war. Wie man erfährt, hatte der in Bremen geborene Mediziner Johann Heinrich Lahmann zunächst bei einer Naturheilanstalt in Chemnitz angeheuert, sich dann aber mit dem Unternehmer Johann von Zimmermann dermaßen zerstritten, dass er 1887 nach Dresden rübermachte und auf dem Weißen Hirsch das Frida-Bad, das 1883 in Konkurs gegangen war, unter dem Namen "Physiatnsches Sanatorium" wieder in Betrieb nahm.

Gut 300 Angestellte kümmerten sich ums Wohl der Patienten

Der ehemalige Kustos der Dresdener Hochschule für Verkehrswesen Ralf Haase stellte das bewegte Leben von Friedrich List (1789–1846) vor, der sich wegen politischer Tätigkeit das Missfallen des württembergischen Königs zuzog und ins Exil in die USA flüchtete. Als Beauftragter der amerikanischen Regierung kehrte er im Oktober 1832 nach Hamburg zurück. Mit Plänen, Hafen und Hinterland per Eisenbahn zu verbinden, stieß er bei den Hanseaten aber auf taube Ohren. Ein Jahr später zog er mit seiner Familie nach Leipzig, wo er die Unterstützung führender Kaufleute wie Gustav Harkort für seine Eisenbahnvisionen gewann. Die Kaufleute hatten jedoch Sachsen und den schnellen Profit im Blick – nach Eröffnung des ersten Bauabschnitts Leipzig-Althen am 24. April 1839 kam es zum endgültigen Zerwürfnis. List, der von einem nationalen Eisenbahnsystem träumte, wurde mit einem Silberpokal und 4000 Talern regelrecht abgespeist. Sein Ziel, als Direktor der Bahngesellschaft angestellt zu werden, erreichte er nicht. Er musste sich um neue Verdienstmöglichkeiten kümmern und ging zunächst nach Frankreich.

Lahmann (dem Schrnidt bescheinigt, ein "sehr gewissenhafter und kenntnisreicher Diagnostiker" gewesen zu sein und über Charisma wie "für einen Arzt großartigen Geschäftssinn" verfügt zu haben) traf einen Nerv der Zeit. Der Laden brummte und bald waren es gut 300 Angestellte, die sich um das Wohl der Patienten, die den Reigen aus warmen und kalten Bädern, aus Aufgüssen und Wickeln, aus körperlicher Betätigung und Ruhe zu schätzen wussten, sorgten. Lahmann konnte 1894 ein Gut in Friedrichsthal bei Radeberg erwerben - wo der die Anwendung von Medikamenten grundsätzlich ablehnende Prediger der ganzheitlichen Ernährung am 1. Juni 1905 an einer mit Grippe verbundenen Herzklappenentzündung denn auch starb.

Aber auch seine Nachfolger wussten die Massen zu locken. Das kam dem ganzen Ort zugute. Der Dresdner Geschäftsmann Jacques Bettenhausen entwickelte nicht nur den Bahnhofsbuchhandel, sondern ließ gegenüber vom Lahmann-Sanatorium anstelle eines alten Hotels ein neues "Parkhotel" samt Ballsaal und Dachgarten erbauen, was die Kurgäste ebenso entzückte wie schon die Einrichtung der Lesehalle 1907. Diese befand sich ab 1912 im Chinesischen Pavillon. Ab 1914 firmierte das Areal zu einem Lazarett des Deutschen Roten Kreuzes.

1921 wurde der Weiße Hirsch, der 1899 ans Dresdner Straßenbahnnetz angeschlossen worden war, dann zwangseingemeindet, was nicht wenige Anwohner dort zum Anlass nahmen, mittels auf Halbmast gesetzter schwarzer Flaggen zu protestieren. Nun flossen nämlich auch die Steuern nämlich nicht mehr in die Orts Kasse des Kurortes, sondern ins Stadtsäckel von Dresden, wie Schrnidt vermerkt, der angetan ist von der naturheilkundlichen Tradition und dem unternehmerischen Pioniergeist Lahmanns. Eine Folge der Eingemeindung: Das Lahmann-Sanatorium wurde zusammen mit anderen privaten Kureinrichtungen von der Stadt Dresden zu einem Kurbezirk zusammengefasst und entsprechend verwaltet. Und mochte eine Schriftstellerin wie Marie von Ebner-Eschenbach auch mal spöttisch gefragt haben, "Die Kur hat dich von der Krankheit kuriert, aber wer kuriert dich von der Kur?" - an Gästen war trotz immer wieder auftretender wirtschaftlicher Schwierigkeiten auch weiterhin erst einmal kein Mangel. Ob ein Flugzeugkonstrukteur wie Hugo Junkers, ein Schriftsteller wie Thomas Mann, oder Ufa-Stars wie Zarah Leander, Manka Rökk, Heinz Rühmann und Willy Birgel - sie alle hofften auf Regeneration, auf "neue Zeugung im alten Leibe".

Neue Siedlung am Heiderand im Kurhausstil?

Schmidt reflektiert auch die heutigen Bauten auf dem Gelände des ehemaligen Sanatoriums. Er bescheinigt der "futuristisch anmutenden Einfamilienhaussiedlung am Heiderand im Kurhausstil" über eine "sehr interessante, gut durchdachte und gelungene Architektur" zu verfügen, über deren "relativ hohe Baudichte und sehr hohen Preise sich mit Sicherheit streiten" lasse. Nicht zuletzt das Etikett "Kurhausstil" wäre aber zu hinterfragen. Es bleibt offen, was darunter zu verstehen ist. Die Fotos der Einfamilienhäuser bezeugen ja eher graue Festungsbunker mit schmalen Fensterschlitzen. Aber gut, Schönheit soll mitunter ja allein im' Auge des Betrachters liegen. Und um zu guter Letzt noch eine alte Patientenweisheit zu zitieren: "Während einer Kur ist vieles anders - sogar die physikalischen Gesetze: So kommt es vor, dass ein Schatten zum einzigen Licht avanciert."


Michael Schmidt: Dr. Lahmanns Sanatorium im Kurort Weißer Hirsch
(1988-heute). Sonnenblumen Verlag Dresden, 52 Seiten, 7,80 Euro

 

SÄCHSISCHE ZEITUNG,

Sonnabend / Sonntag,
den 16./17. April 2016

Heilung durch Bauchabsägen

Ein neues Heft bietet ganz ungewöhnliche Einblicke in den Alltag der Kurgäste des Lahmann-Sanatoriums.

Von Jana Mundus
Ging es etwa blutig zu im Lahmann-Sanatorium? Zwei Männer in Badehosen setzen die große Säge an. Sie haben es auf den Bauch eines dritten Herren abgesehen. Ein weiterer soll zu dessen Füßen wohl das herabtropfende Blut mit einer Schüssel auffangen - oder gleich den ganzen Bauch? Dieses Foto findet sich im neuen Heft des Dresdner Sonnenblumen-Verlags mit dem Titel "Dr. Lahmanns Sanatorium im Kurort Bad Weißer Hirsch". Autor Michael Schmidt zeigt darin viele historische Postkarten vom Gebäudeensemble und vom Alltag der Kurgäste. Aber auch aktuelle Fotos zum Fortschritt der derzeit laufenden Bauarbeiten auf dem Gelände.

Die vier Herren in Badehose posierten 1910 für- das "Bauchabsägen". Eine nicht ernst gemeinte Möglichkeit der Gewichtsreduzierung. Ebenfalls sehenswert: die Aufnahmen sportlicher Männer beim Muskelgruppentraining oder die sittsamen Damen im Lesesaal. Auch Abbildungen von Veranstaltungen auf dem Konzertplatz finden sich. Angereichert hat Schmidt das Heft mit Texten zur Historie des Sanatoriums. Aber er blickt auch in die Zukunft und schreibt über die jetzige Bautätigkeit.


Michael Schmidt: Dr. Lahmanns Sanatorium im Kurort Weißer Hirsch
Bildband mit 80 Abbildungen und sechs Grafiken, 52 Seiten,
ISBN: 978,3-9815070-7-2, Preis: 7,80 Euro

 

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